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Hier finden Sie ab und zu die eine oder andere vollständige Story, teils aus - auch nicht mehr bestehenden - Internetveröffentlichungen.

Neu hier:

Da die Website (und leider auch die Zeitschrift) nicht mehr existiert, hier einer meiner
Beiträge aus  "Verstärker/Zeitschrift für Kunst-und Literatur". (Druckausgaben noch wenige vorhanden)


                                         Fiebermenschen  

Als ich dem Umstand auf den Grund ging, warum ich ständig Fieber hatte und erfuhr warum, gefror mir zum ersten Mal in meinem Leben das Blut. Die Ursache des Fiebers war alles andere als Krankheit, Viren, Bakterien oder gar Verliebtheit.
 
Meine wundersame Geschichte begann mit Elvis. Ja, richtig, der King. Sein „Fever“ klang über alle Sender in jener Nacht, während es bei meinem angeblichen Vater endlich mal klappte. Trotzdem, bei den von einem Forschungsinstitut angebotenen Heterologen Inseminationen, also künstlichen Befruchtungen mit Sperma von Samenspendern, war meine Mutter dabei –  heimlich und als Versuchskaninchen, weil ihr Mann im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu Stande brachte. Das Häschen, das dabei rauskam, war ich. Für Mama gab es Taschengeld vom Forschungsinstitut. Papa freute sich sehr über „seinen“ Sohn, der ihm laut Mama in der einen starken Stunde zwischen Mitternacht und ein Uhr des Rosenmontags gelungen sein soll. Und Elvis war dabei. F(or)ever. Inwieweit sie ihn sonst noch belogen hatte, kann ich nicht sagen. Die eine große Lüge genügte vollauf, meinen Vater sehr viel später dazu zu bringen, sich zu übergeben. Zum Kotzen fand er die Wahrheit, die er erfuhr, als ich schon groß war. So um die Vierzig. An sich kommt das häufiger vor, so ein Geständnis, und auch der Nachkomme findet sich entweder damit ab, oder er dreht durch. Oder er sucht nach seinem leiblichen Vater.

Kurz und gut, da mir ständig so heiß war, ich eine normale, durchschnittliche Körpertemperatur von mehr als 39 Grad besaß, und die Ärzte und meine Eltern sich deswegen schon lange keine Sorgen mehr machten, musste ich mich selbst finden. Von nichts kommt nichts, sagte ich mir. Abgesehen davon, dass ich wegen meiner hohen Körpertemperatur meistens großen Erfolg bei Frauen habe, die sich mit ihren verdammt kalten Händen und Füßen nachts gerne an mich kuscheln, besitze ich dadurch keine weiteren Vorteile – na ja, zum Blaumachen genügte bei Lehrern und Chefs natürlich immer ein Fieberthermometer! Und die Heizkosten halten sich schwer in Grenzen. Dafür liegt mein Kalorienbedarf irgendwo auf der Messlatte von Sumo-Ringern. Es gleicht sich halt alles aus im Leben.

Woher war ich so heiß? Instinktiv führte ich das Phänomen auf meinen unbekannten Vater zurück. War er auch ein Vulkan? Ein „Fiebermensch“?  

Mama, inzwischen ziemlich alt und senil, wollte oder konnte mir nichts dazu sagen. Nur der Name des Arztes, der damals den Eingriff durchgeführt hatte, kam über ihre Lippen: Dr. Vogel. Fieberhaft durchforstete ich alle Hinweise auf Institute, die neun Monate vor meiner Geburt an dem Verfahren gearbeitet hatten. Nichts. Natürlich, alles war streng geheim, und vielleicht sogar irgendwie militärisch-politische Forschung im kalten Krieg. Man wird schon ein wenig paranoid auf der Suche nach geheimen Unterlagen, die einen selbst betreffen! Kurz davor aufzugeben, kam mir der Zufall zu Hilfe. Ein gewisser Professor Vogel, inzwischen über achtzig und noch rüstig, antwortete mir auf meine Anfrage per Mail. Mein Name hätte ihn irritiert, denn er assoziierte ihn mit dem Namen der Mutter eines Kindes, das vor langer Zeit in einem staatlichen Forschungsprogramm gezeugt wurde. Es durfte eigentlich nicht mehr Leben, hatte es doch monatelang merkwürdige Fieberanfälle. Man gab ihm höchstens ein Jahr, und man überließ es frühzeitig der Mutter in der Gewissheit, dass sich der „Fall“ in kurzer Zeit von selbst erledigt haben würde. Dann zeugte man noch ein paar Fälle, und alle hatten angeblich keinesfalls überlebt.

Von wegen! Ich mailte ihm meine amtsärztlichen Fieberkurven der letzten Jahrzehnte, und ich konnte die Aufregung in seinen Re-Mails fast greifen. Dass ich am Leben war, noch dazu ziemlich fidel, und ohne je wirklich krank gewesen zu sein, versetzte ihn in eine Euphorie, die ihm ein vollständiges Geständnis entlockte, und ihm schließlich das Leben kostete. Die Aufregung war wohl zu viel für den alten Herrn.

Dennoch, ich lebe, und das kam so: Die Frauen, die sich zur Verfügung gestellt hatten, bekamen alle Spermien von ein und dem selbem Mann. Und jetzt kommt’s: von einem Mann, der Jahrtausende lang schockgefroren im Antarktiseis lag. Aber kein stupider Vorfahre des modernen Menschen war das. Nein, ein moderner Mensch, homo sapiens sapiens, so ein Typ mit Hirn soll das gewesen sein, vielleicht sogar ein Außerirdischer, aber das spielt hier keine Rolle. Was die Wissenschaftler herausfanden war, dass man Sperma über einen unbegrenzten Zeitraum in gefrorenem Zustand aufbewahren kann, ohne die Zeugungsfähigkeit der Spermizide negativ zu beeinflussen. So wird das heutzutage und in der Regel mit dem Material von Samenspendern routinemäßig gemacht. Raus aus’m Warmen, rein ins Kalte. Und dann wundern, wenn die Körper der so gezeugten Nachkommen vom Baby- bis zum Greisenalter versuchen müssen, sich über Gebühr warm zu halten. Könnte ja sein, dass man wieder eingefroren wird!

Also, wem ist ständig heiß? Wer hat andauerndes Fieber? Meldet euch, Brüder und Schwestern. Ihr müsst inzwischen Legion sein, da draußen …


© Peter Brand / Rosenheim

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(Finalteilnahme fza-Werkstattpreis / Verlag fza - Wien)

                                              Im Namen der Sonne

„Menschen auf betonierten Plätzen kauen zufrieden an Burgern, fragen nicht, wo das Korn dafür wächst. Geht es uns gut, geht es gewiss allen gut. Wenn wir jammern, samt unserem reichlichen Wissen, beklagen wir uns über die Welt, weil wir sie uns nicht einverleiben können. Wir sind nicht imstande, sie vollends zu fressen. Wir verdauen schon Zukunft, also etwas, das wir nie essen werden, und so wächst der Hunger, macht uns gierig auf alles, was wir doch nicht verschlingen können. Wir verzehren, was wir nicht sehen, schlucken selbst die lästigsten Fliegen und sind, auch mit unserem Stuhlgang, zufrieden. Werfen die Brotreste in stählerne Körbe, oder daneben. Oder in den Brunnen, zu Kronenkorken und PET-Flaschen im tanzenden Wasser, worin früher Münzen landeten, damit sie Glück bringen. Was bringt ein versenkter Kronenkorken? Zwischen Hochhaus- und Stahlglasfassaden schmecken Döner, Sandwichs und Hot Dogs schnell mal nach nächtlicher U-Bahn, getunnelt und rätselhaft leer, und werden deshalb im Eiltempo vertilgt. Nichts bleibt von der Würde der Nahrungsaufnahme, Stadtmenschen in steinernen Sümpfen versinken in Gedankenlosigkeit, dem nächsten Event entgegen, hochgradig erregt, auf hartem Asphalt in der Stadt…“ 

Der das schreibt, heißt Jimmy. Lebhafte Frisur, schwarz glänzend. Sportsakko. Wirkt bieder und angepasst. Das Rebellische in ihm tippt er in seinen Laptop. Anonym. Er tut, was er kann: tagsüber im Laden, Backwaren vom Industriebäcker verkaufen, abends im größten Treffpunkt des Stadtteils, schreiben. Ein Caipirinha reicht Jimmy für zwei Stunden im Bistro „Meÿer“. (Mit den individuellen zwei Punkten über dem Ypsilon besitzt es den ultimativen Erkennungswert.)
Auch der Stadtsektor, in dem Jimmy lebt, hat einen eigenen Namen. Es braucht immer nur einen Teil der Stadt, ein „Viertel“ mit Titel, mit denen sich auch einer wie Jimmy identifizieren kann. Identität ist wichtig im Ameisenhaufen. Man sollte halbwegs überschaubar wissen, aus welchem Stück des Gewusels man sich herauswagt. Nach einer gewissen Dorfmentalität verlangt der Mensch im riesigen Ganzen der Großstadt, Wohnstolz einer Sippe, die eine übersichtliche Zahl an Individuen hat. Zellen der Geborgenheit, wie diese Kneipe, in die sich Jimmy zurückzieht, wenn er schreibt. Wenn er Anregungen sucht für sein Bild von der Stadt. Sprechende Stadtbilder. Er ist dreißig, vielleicht darüber und hat hellblaue Augen wie ein Husky. Unruhig suchen sie umher in der Kneipe, bekannte Gesichter aus seinem Viertel aufspürend, wartend auf selbstredend beschreibbare Typen. Völlig allein unter der Laufkundschaft, findet er mit routinierten Blicken Gefallen an Blondinen und langbeinigen, vollbusigen Schwarzhaarigen, unterbrochen nur von Dagi, der coolen Bedienung, rothaarig wie eine Feuersbrunst, scharfzüngig wie ein Kampfhund. „Hey, Jimmy! Pizza?“ Jimmy saugt an seinem Strohhalm und verneint, zieht den Laptop näher. Er tut so, als schreibe er im Moment Wichtiges. Literatur. Weckt flüchtiges Interesse. In Wahrheit wartet er auf ein Abenteuer, obwohl er müde ist, heute am Donnerstag, das Wochenende noch weit vor sich zum Runden drehen. Ein Single, Großstadtsingle. Angespannt, fahrig, fieberhaft. Dschungelsingle, sieht den Urwald vor lauter Bäumen nicht. Dagi serviert am Nebentisch. Warum sieht Jimmy sie nicht? Sie ist auch ein Baum im Urwald, ein fest verwurzelter, an dem er sich festhalten könnte, bevor er mal aus den Ästen oben in den Wolken fällt. Noch bleibt er lieber oben, bei den schwer erreichbaren Früchten, buntem, süßen Obst, auf das er stets Diarrhöe bekommt, und sich dann doch wieder verführen lässt. Dagi weiß das und lächelt. Soll er Durchfall kriegen, bis er ’s leid ist. Sie stellt ihm eine Pizza unter die Nase. „Geht aufs Haus.“ 

Das Essen wird kalt. Jimmy schreibt:
„Draußen auf dem Land ginge um diese Zeit die Sonne unter. Im Schatten der hohen Häuser ist sie es schon längst. Der Mond liegt, noch bleich im Dämmerlicht, hoch oben auf dem Dach des Bankenhochhauses. Er, Mr. Moon, ist abhängig von Mrs. Sun, um zu leuchten. Und so grüßt er, im Namen der Sonne, von dort oben uns Stadtmenschen. Ich allein bemerke seinen Gruß. Die anderen haben keinen Blick für ihn, heute nicht, und morgen nicht, wenn er voll ist. Sie haben ihr eigenes Licht. Millionenfache kleine Monde, die ohne Sonne strahlen, bunt, grell, damit wir in der Stadt die Nacht zum Tag machen können. Wenn wir wollen. Tage und Nächte ohne Rhythmus, pausenlos pulsierend, vierundzwanzig Stunden geöffnet, sieben Mal in der Woche.
Großstädter sind beschränkt, in ihre Schranken gewiesen, wissen nichts vom Erntejahr, nichts vom Sähen, nichts von Früchten, vom Melken und Schlachten, vom Mähen und den Fragen ums Wetter. Sie essen, trinken, werfen weg, verbrauchen als Verbraucher sogar noch das Gebrauchte, in Secondhand-Shops und Schnäppchenmärkten, den Wertstoffhöfen des Reichtums, Wühltische für die Müllmenschen, für die Verlierer, die Langsamen, die nicht mitkommen und nicht mitbekommen, wie der Hase läuft: schnell.
Manchmal sehen sie den Mond, wenn sie aufschauen und beten, es möge anders laufen, besser, ein wenig gemächlicher für alle, bescheidener. Genügsamer. Und dann grüßt der Mond lächelnd zurück. Er strahlt nicht wie die Sonne. Doch er verneigt sich in ihrem Namen.“

Zufrieden klappt Jimmy den Laptop zu. Er lächelt Dagi an. Dagi strahlt. Könnte es sein, er ahnt, wie sehr sie ihn mag? Jimmy isst die kalte Pizza, denkt: Dagi hat ein Mondgesicht.

© Peter Brand / Rosenheim